Anschlag auf Villa von Stefan Aust


Hamburg 25 September 2008

Am Donnerstag hatten unbekannte Täter mehrere Farbbeutel auf das Haus der Familie Aust geworfen. Fensterscheiben gingen zu Bruch, verletzt wurde niemand.

-Nach dem Farbbeutel-Anschlag auf die Villa des ehemaligen "Spiegel"-Chefredakteurs Stefan Aust ist nun ein Bekennerschreiben aufgetaucht.

In dem Brief an die "Hamburger Morgenpost" heißt es: "Der Film ist eine Fortschreibung der Verdrehungen und Lügen des Stefan Aust. Wir widmen diesen Anschlag allen GenossInnen, deren Würde durch diesen Film in den Schmutz gezogen wurde." (Aust hat die Buchvorlage zu dem Kinofilm über die RAF geschrieben. )
Ein Polizeisprecher bestätigte, dass der Brief echt ist.
Quelle: express.de

* junge Welt erreichte das Schreiben »Der Stefan-Aust-Komplex«:

Am 25.9.2008, dem Tag des Kinostarts der Verfilmung vom Baader-Meinhof-Komplex, haben wir die Villa von Stefan Aust in Hamburg-Blankenese, Broerstreppe 1, mit Farbflaschen und Steinen beworfen und vor der Tür ein Rauchfeuer entzündet.

Stefan Aust, Autor des jüngst in dritter Auflage erschienenen Bestsellers mit ca. 500000 Exemplaren, hat am Drehbuch des von Bernd Eichinger unter der Regie von Uli Edel produzierten deutschen Kinoereignisses des Herbstes 2008 mitgearbeitet. Stefan Aust ist von der Umsetzung seines Stoffes begeistert und hält den Baader-Meinhof-Komplex für einen ausgezeichneten Film, »so authentisch, wie das bei einem Spielfilm möglich ist«. In der Titelgeschichte des Spiegel vom 8.9.08 ließ sich der Journalist Dirk Kurbjuweit in einer überschwänglichen Kritik zu der Aussage verleiten, daß der Film die Debatte über den deutschen Terrorismus verändern würde. Eichinger sei ein realistischer Film, ein Geschichtswerk gelungen, welches endlich einmal schonungslos »das schiere Töten, die Barbarei, den von den Inhalten entkoppelten Blutrausch der RAF« auf die Leinwand bringe.

»Höllentrip«

Mitnichten wird dieser Film eine Veränderung im Diskurs über die Politik, den Kampf der RAF bewirken. Der Film ist eine Fortschreibung der Verdrehungen und Lügen des Stefan Aust, er visualisiert die von ihm entworfenen psychopathologischen Muster der Genossen der RAF wirkungsmächtig - er denunziert bewaffneten, militanten Widerstand gegen Imperialismus und Staatsterrorismus als wahnsinnig. Diese Behauptung, daß mensch verrückt sein müsse, um bewaffnet zu kämpfen, zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeiten des Stefan Aust. Schon als junger Typ Anfang der 70er hatte er nach eigenen Angaben die Einsicht, daß der bewaffnete Kampf in Europa scheitern muß, daß es ein »Höllentrip« sei. Er habe sich nie als Teil der Bewegung dieser Jahre gesehen, sagt er in einem Interview. Seine Bekanntschaft mit Ulrike Meinhof in der Redaktion von konkret, seine Begegnung mit einigen anderen Akteuren der antiautoritären Revolte habe ihn sozusagen an die Materie herangeführt. Emsig arbeitete er sich in das Thema ein, mit dem eher distanzierten Blick eines Journalisten von außen auf den »Krieg der Bürgerkinder gegen den Staat« (O-Ton Aust). 1986 veröffentlicht er den Bader-Meinhof-Komplex, ein Schlachtenpanorama des bewaffneten Kampfes. Andreas Baader, ein als Kind von drei Frauen verhätschelter Junge, baut als schmieriger eitler Desperado zusammen mit seiner Braut, der unerbittlichen, rigiden Pfarrerstochter Gudrun Ensslin und der sadomasochistisch veranlagten Ulrike Meinhof eine Untergrundarmee auf. Mittels einer Kampagne zu Heimkindern scharen sie ein paar »Rekruten für ihre Untergrundarmee« um sich. In einem »Alptraum von Gewalt« aus der als »Selbstzweck gewählten Illegalität« führen sie einen »Privatkrieg« und nehmen »das Land in Geiselhaft«. Ihr »revolutionärer Größenwahn« offenbart sich u. a. darin, daß sie sich anmaßen, gar drei (!) Banken koordiniert an einem Tag zu überfallen. »US-Amerikaner, zumal Soldaten werden zu Freiwild ernannt.« Im Stammheimer Knast, der »Hauptstadt der RAF«, zementiert sich das »Wahnsystem« der Bande. Die Chefs essen Hühnchen, Mitläufern und Befehlsempfängern wird der Suizid durch Hungerstreik befohlen. Ulrike Meinhof, mehr oder minder einzige Sympathieträgerin der Gruppe, wird in den Selbstmord getrieben, »vielleicht war die Selbstzerstörung der einzige Weg, um aus der RAF auszusteigen«. Da ist es nicht verwunderlich, daß nach einem »metaphysischen Endkampf«, während dem z.B. in einer »Wannsee-Konferenz« (Boock) die Liquidierung des Begleitpersonal von Schleyer beschlossen wird und nach der Erstürmung der Landshut die Stammheimer sich selbst töten.

Mit der These des konzeptionellen Suizids rückt Aust explizit die Gefangenen aus der RAF in die Nähe von Selbstmordattentätern. Unlängst attestierte Aust den GenossInnen der Guerilla faschistisch anmutende Menschenverachtung dem Gegner und sich selbst gegenüber.

Notorische Lügner...

Diese zugegeben verkürzte Zusammenfassung der Sichtweise und Gedankenwelt Austs soll anreißen, welche Topoi er entwickelt, welche Art von Geschichtsschreibung dieser Typ betrieben hat und betreibt. Austs Buch gilt als Standardwerk, seine Fernsehproduktionen (u.a. 2007 »Die RAF«), seine Mitarbeit an Filmproduktionen, 1986 »Stammheim«, seine journalistische Tätigkeit bei Panorama, bei Spiegel TV und als Chefredakteur des Spiegel haben ein verzerrtes, aber wirkungsmächtiges Bild vom bewaffneten Kampf der RAF und anderer militanter Gruppen geprägt. Aktuell wird der Markt nun überschwemmt mit dem neuen Kinofilm, dem Hörbuch zum Film, dem Buch zum Film, der Fernsehproduktion zum Film ..., auch finanziell dürfte da einiges dran verdient werden.

Als Zeitzeugen ruft Aust die große Garde der Märchenerzähler und notorische Lügner aus der 68er Revolte und den Guerillagruppen auf: Röhl, Langhans, Cohn Bendit, Fichter, Mahler, Bommi Baumann, Till Meyer, Klein, Boock. Letzter durfte gar, gut bezahlt, die von Aust gebotene Bühne nutzen um eine weiteres Mal Genossen zu denunzieren und neue Mutmaßungen zu präsentieren, wer denn nun Buback erschossen hat. Dies führte u. a. zu neuen Ermittlungen und Erpressungsversuchen der Staatsanwaltschaft gegen GenossInnen, die früher in der RAF organisiert waren.

Der Untergang, Teil 2

Angesprochen auf die Frage, ob der Staat in der Konfrontation mit der Guerilla überreagiert habe, antwortet Aust in einem kürzlich erschienenen Interview, daß der Staat rückblickend betrachtet eher maßvoll, rücksichtsvoll und rechtstaatlich mit den Angriffen umgegangen sei. Diese Antwort scheint fast zynisch, wenn mensch bedenkt, daß Aust sich Jahrzehnte mit den Geheimdiensten der BRD beschäftigt hat. So publizierte er z.B. zum Celler Loch und dem Schmücker-Mord, zum Kontaktsperregesetz und der Abhörpraxis in den Knästen, er prangerte die Zustände in den Knästen an und die Folter der Zwangsernährung, und nicht zuletzt die Killfahndung. Da schließt sich der Kreis des staatstragenden, staatsbejahenden Stefan Aust mit der Schauspielerin Martina Gedeck, die in dem Kinofilm Ulrike Meinhof spielt und als Folge ihrer Auseinandersetzung mit ihrer Filmrolle zu einer größeren Nähe zu diesem Staat und seiner vermeintlichen Rechtstaatlichkeit gefunden hat.

Nachdem es Eichinger in seinem Film »Der Untergang« gelungen ist, die menschliche Größe des deutschen Volkes und sein Leid im Abwehrkampf gegen die Rote Armee auf die Kinoleinwände zu bringen (und zwar, wie er betont, als deutsches Projekt mit deutschen Schauspielern, deutscher Sprache und deutschem Regisseur), so darf er nun den Abwehrkampf des deutschen Staates gegen die Rote Armee Fraktion darstellen.

Die Geschichte der bewaffneten Praxis und Politik der RAF, der Bewegung 2. Juni und der Revolutionären Zellen/Rote Zora sehen wir aus einem kritischen solidarischen Blickwinkel. Trotz aller Kritik an strategischen Irrtümern, an einzelnen krontraproduktiven Aktionen mit verheerenden Folgen sowohl für unschuldige Betroffene als auch für eine revolutionäre Perspektive, schätzen wir die Initiative, den bewaffneten Kampf in der BRD zu organisieren. Die Geschichte der bewaffneten Gruppen ist wichtiger Bestandteil linksradikaler Geschichte - es ist nowendig, ihre Erfahrungen, Niederlagen und Erfolge zu reflektieren, auch für eine revolutionäre Zukunft. Es wäre falsch, dieses Feld der Geschichte an die Austs, Kraushaars, Reemtsmas abzutreten.

Wir widmen unsere Aktion allen Genossen, deren Würde und Integrität mit diesem Film durch den Schmutz gezogen wird.

Freiheit für Christian Klar und Birgit Hogefeld!

Die Revolution sagt: Ich war, ich bin, ich werde sein. (R. Luxemburg)

Quelle: junge welt